Dessauer-Nahverkehr.de

Von den Vorprojekten bis zur Inbetriebnahme der Gasbahn

Am 25. September 1876 berichtet der "Anhaltinische Staatsanzeiger", dass "demnächst ein Consortium" zusammentritt, welches über die Gründung einer Pferdebahn von Dessau nach Roßlau beraten wird. (Roßlau besaß 1844 schon eine Maschinenfabrik, 1866 eine Schiffswerft und war Standort vieler Elbschiffer). Die Mehrzahl der Bürger begrüßte, wie weiter zu lesen war, eine Verkehrsmöglichkeit nach Wörlitz. Ob dieses Projekt näher untersucht wurde, ist nicht überliefert.

Im Jahre 1883 bot die Berliner Firma Marcks & Balke, die im gleichen Jahre in Erfurt eine Pferdebahn erbaut hatte, die Einrichtung einer Pferde-Eisenbahn durch die Hauptverkehrsstraßen an, vorläufig nach dem Bahnhof, und erwartete eine Konzession auf 35 Jahre. Diesen Vorhaben scheiterte wegen möglicher Unrentabilität, nicht einmal die Droschkenfuhrwerke fanden genügend Beschäftigung.

Den Fuhrwerksbesitzer Karl Henze, wohnhaft in der Heidestraße, brachte offensichtlich der Beginn der Belegung des Friedhofes III in der Heidestraße, ab den 1. Oktober 1889, auf den Gedanken, eine Omnibuslinie mit pferdebespannten Wagen einzurichten. Er annocierte am 18. August 1890 die Einrichtung eines regelmäßig fahrenden Omnibusses mit einem Fahrpreis von 10 Pfennig pro Person vom Bahnhof oder Zerbster Tor bis Rondellplatz, eine Weiterfahrt bis Friedhof III kostete 20 Pfennig. Am 19. August 1890, nachdem die Omnibuslinie in der Presse lebhaft begrüßt wurde, erfolgte die Bekanntmachung des Fahrplanes - viermal täglich zwischen Friedhof und Bahnhof und zurück. Die von den Bürgern als "Knochenschüttler" getauften unbequemen Wagen verkehrten ein knappes Vierteljahr; am 11. November 1890 wurde der Verkehr wegen ungenügender Inanspruchnahme eingestellt.

Am 5. September 1891 kam laut einer Pressemitteilung die Einrichtung einer Pferdebahnlinie auf der Strecke Bahnhof - Kaiserstraße (Fritz-Hesse-Straße) - Bahnhofshotel - Friedrichstraße - Kavalierstraße - Franzstraße - Heidestraße - Blödenanstalt, weiteres ist jedoch nicht überliefert.

Im Februar 1892 verfassen Geheimrat a.D. Aue und der Chef des Speditionsvereins Wallwitzhafen, Gustav Richter, eine "Denkschrift betreffend die Anlage von Strassenbahnen in und bei der Haupt- und Residenzstadt Dessau". In dieser Denkschrift plädieren die beiden Autoren für eine elektrisch betriebene Straßenbahn mit Ausgangspunkt Kleiner Markt in Dessau und Endpunkt in der Mitte von Roßlau, desweiteren werden weitere Strecken vorgeschlagen:
a) vom Kleinen Markt nach der Jonitzer Brücke;
b) vom Kleinen Markt nach Alten;
c) vom Übergang der Bahn Richtung Leipzig zum Personenbahnhof beziehungsweise durch die Franzstraße bis zum neuen Friedhof.

Hieraus entwickelte sich eine breite Diskussion um die Antriebsart der anzulegenden Straßenbahn. Man war der Ansicht, das notwendige Kapital für eine elektrisch betriebene Straßenbahn nicht beschaffen zu können, und schlug einen Pferde-Omnibus aus Alternative vor.

Am 24. Oktober 1892 informiert der "Anhaltische Staatsanzeiger" seine Leser, dass zwei Petitionen um Erteilung von Konzessionen zur Anlage einer elektrischen Strassenbahn beim Magistrat eingereicht worden seien. Im Januar 1893 kam sogar eine Pferdebahn als "Ringbahn" ins Gespräch, in diesen Fall stellte der Erbauer der Zerbster Pferde-Eisenbahn, der Spediteur Felix Bier, den Konzessionsantrag. Die Berlin-Anhaltische Maschinenbau-Gesellschaft (BAMAG) reichte ein weiteres Angebot ein, die BAMAG sicherte sich die Beteiligung ansässiger Großindustrieller und stellte die Eröffnung einer Strassenbahn mit motorischen Antrieb - Druckluft, Gas oder Elektrizität - für das Jahr 1894 in Aussicht. Da in Dessau das Aufhängen elektrischer Oberleitungen nicht erwünscht war und Pferde- oder elektrische Bahnen keine Aussichten auf Rentabilität boten, entschloss man sich für den Gasbetrieb. Man schloss auch den für in Aussicht genommenen Güterverkehr die Benutzung von "Locomobilen" nicht aus. Folgende Linienführungen wurden ins Auge gefasst: einerseits Personenbahnhof - Kaiserstraße (Fritz-Hesse-Straße) - Friedrichstraße - Kavalierstraße, anderseits durch die Leopoldstraße (Ferdinand-von-Schill-Straße) - Zerbster Straße - Steinstraße - Askanische Straße zum Leopolddankstift, nach Zusammenführung beider Linien weiter durch die Franzstraße bis zur BAMAG in der Wallstraße; eine Zweiglinie könne vom Zerbster Tor bis zum Güterbahnhof führen.

Der Gemeinderat war inzwischen nicht untätig gewesen. Man reiste unter Leitung des Oberbürgermeisters Dr. Friedrich Funk nach Dresden, um dort die Gasmotorwagen System Lührig kennenzulernen, und kehrte höchst befriedigt zurück. Einhellig bestand die Meinung, dass diese Wagen ob ihrer absoluten Gefahrlosigkeit und ihres sicheren, ruhigen Ganges die derzeit besten Beförderungsmittel darstellten. Auch reiste eine Abordnung des Gemeinderates nach Gera um die dortige Art der Güterbeförderung mit Straßenlokomotiven selbst in Augenschein zu nehmen. Dieses Projekt, obwohl man auch hier von den Vorteilen überzeugt war, wurde später im Gemeinderat verworfen.

Auf der öffentlichen Sitzung des Gemeinderates, am 15. Mai 1893, wurde der Vertrag zwischen der Stadtgemeinde und der BAMAG mit allen Stimmen genehmigt. Den Friedhof III legte man als Endpunkt der regelspurigen Straßenbahn fest.

Die Beschaffung des benötigten Kapitals allerdings zögerte die Ausführung des Projektes in die Länge. Von dem Unternehmen zog sich die BAMAG zurück, am 17. Februar 1894 erfolgte die notwendige änderung des Vertrags.

Ende Februar war endlich die Mehrheit des auf 320.000 Mark geplanten Stammkapitals gezeichnet. Hauptaktionäre waren die DCGG (Deutsche Continental-Gas-Gesellschaft) und die Gasmotorenfabrik Deutz mit je 50000 Mark, die Gas Traction Comp. Ltd. London-Dresden mit 125000 Mark, die Geheimräte Oechelhäuser und Aue mit je 10000 Mark und ein Herr Ossian Richter mit 5000 Mark.

Eine Parzelle von 9000 Qudratmeter an der Heidestraße übereignete die Stadt Dessau zum Bau eines Verwaltungsgebäudes und Straßenbahndepots und erhielt dafür Aktien. Ein Klempnermeister warb eine Reihe Anwohner an den für die Streckenführung vorgesehenen Strassen für den Kauf der Aktien, indem er ihnen zusicherte, dass eine Haltestelle direkt vor ihr Haus käme. Da seine Versprechen letzendlich nicht zu halten waren, brachte dies dem guten Mann später viel Verdruss.

Am 2. März 1894 erfolgte die Gründung der Dessauer Strassenbahn-Gesellschaft mit einem Aktienkapital von 320000 Mark. Als erster Direktor der Strassenbahngesellschaft war Ing. Roscher eingesetzt worden. Zwischen der Stadtgemeinde Dessau und der Dessauer Strassenbahn-Gesellschaft wurde am 9. April 1894 der Vertrag über die Anlage von Straßenbahnen abgeschlossen. Bis zum 1. Juli 1953 sicherte sich die Gesellschaft mit einem Vertrag die alleinigen Rechte zum Betreiben der Straßenbahn, danach sollten die Gleisanlagen welche in den der Stadt gehörenden Straßen liege, der Stadt unentgeltlich zufallen. Die Stadt hatte sich bis zum 1. Juli 1948 zu erklären, ob sie auch die übrigen Bahnanlagen, wie rollendes Material usw. zum Taxwert übernehmen wolle. Die Stadt sicherte sich finanziell ab, indem alle Kosten, auch diejenigen, die durch von der Stadt in Auftrag gegebenen Arbeiten verursacht wurden, von der Gesellschaft zu übernehmen waren. Der Magistrat behielt sich ferner das Recht vor, die Fahrpläne und die Tarife zu genehmigen. Der freien Vereinbarung zwischen Gesellschaft und Unternehmen unterlag lediglich der Tarif über die Güterbeförderung.

Bereits wenige Tage später begannen die Bauarbeiten. Am 17. April 1894 waren unweit des Friedhofes III auf der westlichen Seite der Heidestrasse Pflasterungen im Gange, und für die Wagenremise begannen die Ausschachtungen. Im Juni begannen in der Leopoldstraße die Gleisbauarbeiten, Ende des Monats waren bereits die Schienen auf einer Länge von 3,5 km gelegt. Von der Hütte Phönix in Laar bei Ruhrort wurden die Schienen, wegen überlastung nicht immer rechtzeitig, geliefert. Die Verlegung erfolgte durch die Fa. The Gas-Traction Company Ltd. London-Dresden. Ebenfalls im Juni waren die Bauten des dreistöckigen Verwaltungsgebäudes und das Strassenbahndepot fast vollendet. Die Presse machte die ansässigen Unternehmen aufmerksam, dass in den Wagen "Geschäftsempfehlungen" angebracht werden könnten.

Am 17. Oktober 1894 traf der erste von neun Gasmotorwagen, hergestellt in der Fabrik van der Zypen & Charlier in Köln-Deutz, ein und trat sofort zwischen Bahnhof und Depot seine Probefahrt an. Nachdem in den folgenden Tagen weitere Wagen eintrafen, konnte die Einschulung des Fahrpersonals durchgeführt werden und die behördliche übergabe stattfinden.

Am 14. November 1894, nachmittags 13.30 Uhr, fanden sich zirka sechzig Teilnehmer im Depotgebäude am Friedhof III ein, darunter Persönlichkeiten von Staat und Regierung, Vertreter der städtischen Behörden und Körperschaften sowie der bauausführenden Unternehmen. Eine fünfzehnminütige Stadtfahrt trat man, nach Besichtigung der Einrichtungen, mit vier vor dem Depot haltenden geschmückten Triebwagen an, die ohne Zwischenfälle am Bahnhofshotel endeten, wo das große Ereignis gebührend gewürdigt wurde.